27/04/2020
Hartz IV – Anspruch für Migranten
Nach einem Urteil des Landessozialgerichts NRW haben auch rumänische Staatsangehörige nach längerem Aufenthalt und objektiver aussichtsloser Arbeitssuche einen Anspruch auf Leistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (sog. Hartz IV-Leistungen).
Die Pressemitteilung des Landessozialgerichts NRW lautet wie folgt:
Landessozialgericht billigt rumänischer Familie Grundsicherungsleistungen zu
Essen. Der 19. Senat des Landessozialgerichts NRW hat mit Urteil vom heutigen Tage rumänischen Staatsangehörigen, die sich nach längerer objektiv aussichtsloser Arbeitsuche weiter im Bundesgebiet gewöhnlich aufhalten, einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (sog. „Hartz IV“-Leistungen) zuerkannt. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländerinnen und Ausländern, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, keine Grundsicherungsleistungen erhalten, stehe dem nicht entgegen.
Die Kläger – eine Familie mit zwei Kindern – leben seit 2009 gemeinsam in Gelsenkirchen. Im streitigen Zeitraum lebten sie von Kindergeld und vom Verkauf von Obdachlosen-Zeitschriften.
Einen am 11.10.2010 gestellten Antrag auf SGB II-Leistungen lehnte das beklagte Jobcenter ab, weil der Familienvater sich allein zum Zweck der Arbeitsuche in Deutschland aufhalten dürfe. Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Gelsenkirchen abgewiesen, weil die Kläger nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU allenfalls ein Aufenthaltsrecht als Arbeitsuchende hätten, so dass der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für sie einschlägig sei.
Der 19. Senat des Landessozialgerichts NRW unter Vorsitz von Vorsitzendem Richter am Landessozialgericht Dr. Martin Kühl hat das Urteil des Sozialgerichts auf die Berufung der Kläger aufgehoben und das beklagte Jobcenter verurteilt, den Klägern Leistungen zu gewähren.
Erwerbsfähige EU-Bürger, die ein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen als zur Arbeitsuche haben, seien nicht vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst. Dies gilt nach Auffassung des Senats auch für EU-Bürger ohne Aufenthaltsgrund im Sinne des gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrechts.
Da die Bemühungen der Kläger, eine Arbeitsstelle zu erhalten, zum Zeitpunkt der Antragstellung seit über einem Jahr erfolglos und auch für die Zukunft nicht erfolgversprechend gewesen seien, seien die Kläger nicht mehr zur Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt. Sie gehörten damit nicht zu dem ausgeschlossenen Personenkreis.
Auf die umstrittene und in den bisher hierzu vorliegenden Entscheidungen thematisierte Frage, ob der Leistungsausschluss insgesamt mit EU-Recht unvereinbar sei, komme es deshalb im konkret vom Senat zu entscheidenden Fall nicht an.
Es handelt sich um eine wesentliche Grundsatzfrage, die bundesweit etwa 130.000 Personen betrifft. Der Senat hat die Revision zugelassen (Urteil des Landessozialgerichts NRW vom 10.10.2013, L 19 AS 129/13).
Das Landessozialgericht hat die Revision zugelassen, so dass zunächst das Bundessozialgericht über diesen Fall zu entscheiden hat. Sollte auch das Bundessozialgericht die Auffassung des Landessozialgerichts in Nordrhein-Westfalen teilen, hätte dies zur Folge, dass z. B. Migranten aus Rumänien oder Bulgarien Anspruch auf Harz IV-Leistungen hätten.
Sofern Sie Fragen zu dieser Thematik haben, können Sie sich gerne mit Herrn Rechtsanwalt Hubert Ratering in Verbindung setzen.